ÖPNV: Restverkehr für Schüler, Alte und Arme oder Alternative zum kollabierenden Individualverkehr?

Die neuerdings Köln Bonn und Nachbarn genannte Region ist auch auf Jahre hinaus noch Wachstumsregion, wenn alles andere bereits schrumpft.

Auch ohne Bevölkerungswachstum wächst die Wirtschaft. Insbesondere wird mit einer 70 prozentigen Zunahme des Güterverkehrs gerechnet, der sich – mangels Alternativen – im wesentlichen auf der Autobahn abspielen dürfte.

Die Staus auf dem Kölner Autobahnring sind bereits heute nur noch mit Galgenhumor zu ertragen und sind nicht allein den Baustellen geschuldet. Auch ohne diese und auch mit den neu errichteten Fahrspuren und Superkreuzen – Ausbau Kreuz Leverkusen, Ausbau Köln- West alle ähnlich dem Bauwerk in Köln-Heumar – werden die Straßen diesen Wahnsinn nicht bewältigen.

Superkluge Schreiberlinge und Experten propagieren daher: Raus aus dem Auto und rein in die Bahn. Wahrscheinlich ein Vorschlag, der irgendwo auf dem Schreibtisch entstanden sein dürfte, doch weit weg von jeder Überprüfung an der Wirklichkeit.

Ein Vorschlag für den Praxistest dieser Vorschläge: Morgens zwischen sieben und acht einfach mal in Brühl oder in Erftstadt oder in Kerpen oder in Pulheim oder in Bergheim auf den Bahnsteig stellen und mit dem Zug nach Köln fahren. Da gibt es noch signifikante Unterschiede von „geht gerade noch“ in Brühl und Bergheim bis zu den grotesken Szenen in Erftstadt, wo ein bereits voller Zug noch von einhundert bis zweihundert weiteren Fahrgästen betreten werden soll.

Langer Rede kurzer Sinn: das System kollabiert.

Es gibt grundsätzlich zwei Richtungen, daran was zu tun: Mehr Verkehrswege oder weniger Verkehr.

Deutlich nachhaltiger ist auf jeden Fall: weniger Verkehr. Wie soll das gehen: Mehr zu hause arbeiten und größere Fertigungstiefen bei der Produktion. Dafür muss der Verkehr teurer werden. Doch das darf man nicht sagen, wie wir seit dem sogenannten 5 Mark Beschluss wissen. Aber was sicher geht, ist, die Kosten gerechter anzulasten: Maut nicht nur auf der Autobahn und Maut auch gewichtsabhängig erheben. Möglicherweise auch mit Boni für die Verschiebung der Fahrt auf Schwachlastzeiten. Größere Fertigungstiefe heißt, das Endprodukt weitgehend an einem Ort zu fertigen und nicht mit den Zwischenprodukten wieder auf die Autobahn zu fahren.

Das bringt vielleicht etwas, doch wenn es wirklich real was bewirken würde, würde es das auf die Freiheit des Waren- und Personenverkehrs fixierten Gesellschaftsmodell in Frage stellen. Daher bin ich da nicht so sicher.

Mehr Straßenbau wird gerade mit Hochdruck versucht, das wird auch in den nächsten Jahren noch intensiviert, zum Beispiel mit einem Autobahnkreuz von Aachener und Bonnstraße, mit dem Vollanschluss Frechen-Nord an der Bonnstraße, mit dem Ausbau des Kreuzes West, oder der Anschlussstelle Königsdorf an der A 4, mit Umgehungsstraßen in Hürth, Pulheim, Bergheim, mit einer neuen Rheinquerung in Wesseling und was noch alles denkbar ist.

Der Straßenbau wird aber nicht mit den Zuwächsen mithalten und gibt die falschen Signale. Wir brauchen eher den Ausbau von Verkehrssystemen mit weniger Flächenverbrauch und mit einem kleineren ökologischen Rucksack. Dies sind im Nahbereich zunächst ganz selbstverständlich die eigenen Füße und das Radfahren.

Um nachhaltige Wegeketten zu etablieren, muss der Anteil der Fuß- oder Radwege auf 15 Minuten je Richtung beschränkt werden. Damit sind Haltestellenradien von 1 km bei Zu- Fuß-Erreichbarkeit und 4 km bei Rad-Erreichbarkeit definiert.

Damit sind die Marken für integrierte Konzepte eigentlich auch gesetzt. Für das ortserschließende System sind Haltestellenradien von weniger als 1 km erforderlich. Für ein schnelles Regionalbus- oder ein schnelles Schienensystem sind Haltestellenradien von 3 – 4 km zumutbar.

Das ortserschließende System muss auf die Belange von Schülerinnen und Schülern ebenso angemessen eingehen wie eine flächenhafte Grundversorgung sichern. In angemessenen Zeiträumen von ebenfalls einer viertel Stunde sollte ein Haltepunkt des schnellen Regionalbusnetzes oder der schienengebundenen Nahverkehrs erreicht werden.

Mit dem regionalen Netz sollten die Ziele in den Ballungszentren in Zeiträumen erreichbar werden, die nicht mehr als doppelt so lang sind, wie die Zeiten im motorisierten Individualverkehr.

Das heißt, dass ein Verkehrssystem erforderlich ist, mit dem aus den Subzentren wie Pulheim, Bergheim, Kerpen, Erftstadt, Frechen, Hürth, Brühl oder Wesseling der Kölner Hauptbahnhof in einer halben Stunde erreicht werden kann. Für die Anfahrt zu den Umsteigepunkten in den schnellen Regionalverkehr – auch von Bedburg oder Elsdorf aus gedacht – darf nicht länger als eine viertel Stunde Fahrzeit erforderlich sein.

Dies ist nur realisierbar, wenn zwischen dem Regionalverkehr und dem ortserschließenden Verkehr differenziert wird.

Die GRÜNEN haben ihre Position hierzu im Kreistagswahlprogramm wie folgt festgelegt:

„Stärkung und Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)

Zentral in Flächenkreisen ist es, das Bussystem ergänzend zum Schienensystem so auszubauen, dass schnelle RegioBusse die Flächen grobmaschig, aber vollständig, erschließen, die Kommunen untereinander und mit der Schiene verbinden. In den Kommunen sollten dann stadt- oder Ortsbussysteme wie in Brühl und Hürth die schnellen RegioBusse ergänzen.“

In der Rhein-Erft-Verkehrsgesellschaft verhindern viele Kommunen ein attraktives Bussystem, weil sie von den Regionalbussen die Ortserschließung billig erledigen lassen.

…“

In der Umsetzung dieser Forderung tun sich zwischenzeitlich ungeahnte Abgründe auf. Insbesondere die sogenannte Nordkreiskommunen torpedieren die Umstellung auf ein

System differenzierter Erschließung ganz erheblich. Sie halten fest an der Finanzierung der Regionalbusse durch eine Regelung nach der 50 Prozent der Kosten durch die allgemeine Kreisumlage und 50 Prozent durch die Kommunen nach Platzkilometern bezahlt werden.

Reine Ortsbuslinien und Stadtbusse werden demgegenüber zu 100 Prozent durch die Kommune bezahlt. Damit ist es für die Kommunen vorteilhaft, die Ortserschließung durch die Regionalbusse machen zu lassen. Die Stadtbuskommunen Brühl und Hürth zahlen ihre Systeme zu 100 Prozent selbst. Erftstadt oder Bedburg lassen ihre lückenhafte Ortserschließung zur Hälfte über die allgemeine Kreisumlage bezahlen, die von allen Kreiskommunen aufgebracht wird.

Zweiter stabilisierender Sachverhalt ist die nicht gesetzkonforme Struktur der Kreisverkehrsgesellschaft: der 100 prozentige Eigentümer Kreis stellt im entscheidenden Aufsichtsrat lediglich 3 von 13 Mitgliedern, die 10 Kommunen stellen die anderen. Damit ist der Kreis nicht in der Lage, seiner Funktion als Aufgabenträger des Öffentlichen Nahverkehrs gerecht zu werden und eine an Nachhaltigkeit, Effizienz und Kundennähe orientierte Nahverkehrsplanung durchzuführen und umzusetzen. Fortschreibungen des Nahverkehrsplans geschehen aktuell auf Zuruf der Kommunen. Diese Praxis – legitimiert durch Hinweise darauf, dass die Kommunen schließlich alles zahlen – ist nicht gesetzeskonform. Die Kreise sind Aufgabenträger des ÖPNV, damit hat der Kreistag genuin eigene Rechte, die nicht durch die Kommunen oder die Bürgermeisterkonferenz aufgehoben werden können.

Stabilisierend ist drittens schließlich, dass der Bereich des ÖPNV in der Kreisverwaltung lediglich durch ein Referat Nahverkehr wahrgenommen wurde, das nicht in der Lage war, dem Unternehmenskomplex RVK/REVG auch nur annähernd irgendwelche Vorgaben machen zu können.

Die GRÜNE Fraktion hat auf diese Situation durch ein Bündel von Aktivitäten reagiert.

Aus dem Referat Nahverkehr wurde ein ÖPNV-Amt gemacht und mit einer fachkompetenten Amtsleitung besetzt. Damit ist der Kreis aufgestellt, um das von den GRÜNEN beantragte Gutachten zur zukünftigen Organisation des ÖPNV im Rhein-Erft-Kreis auf den Weg zu bringen und diese Arbeit zu begleiten. In diesem Gutachten sollen verschiedene Fragen diskutiert werden: wie kann die REVG gesellschaftsrechtlich gesetzeskonform aufgestellt werden? Wie können vor der Europäischen Richtlinie 1270 aus 2007, die eigentlich zwingend Ausschreibungen der Dienstleistungen verlangt, künftig Aufträge vergeben werden? Sind weiterhin In-House-Geschäfte erlaubt? Wie ist der Komplex REVG/RVK zu verstehen, der von vielen Kreistagsmitgliedern als Beispiel für rheinischen Klüngel wahrgenommen wird. So soll die REVG die RVK mit dem Busbetrieb beauftragen und die ordnungsgemäße Durchführung kontrollieren. Aber die REVG lässt nicht nur den Busbetrieb durch die RVK erledigen, sondern auch die Buchhaltung. Kontrolliert da nicht der Auftragnehmer den Auftraggeber?

Nach der Diskussion des Gutachtens sind dann die entsprechenden politischen Beschlüsse zur Veränderung der Gesellschaftsstruktur und zur Austarierung des Verhältnisses von ÖPNV-Amt und REVG/RVK zu treffen.

Dabei ist dann auch die Finanzierung so zu ordnen, dass der Defizitausgleich für die Regionalbuslinien zu 100 Prozent aus der allgemeinen Kreisumlage und der Defizitausgleich für die Orts- und/oder Nachbarortsverkehre zu 100 Prozent von der/den bestellenden Kommune/n nach Platzkilometern getragen wird.

Auf dieser neuen Grundlage erst ist es sinnvoll, den Nahverkehrsplan fortzuschreiben und hierbei durch den Kreistag festzulegen, welche schnelle Regionalbusse die Regionalfunktion ausüben sollen und in Abstimmung zwischen betroffenen Kommunen und dem Kreis festzulegen, welche Stadtbus-, Orts- und/oder Nachbarortsverkehre die Ortserschließung durchführen. Der Nahverkehrsplan legt auch fest, welche Qualitätsstandards bei der Bestellung von Busleistungen zugrunde zu legen sind.

Die durch den Kreistag festzulegenden regionalen Schnellbuslinien fahren auch in Schwachlastzeiten und am Wochenende in merkbaren Takten auf möglichst stringenter Streckenführung zwischen zwei Schienenverknüpfungspunkten alle mittleren und größeren Ortslagen mit einer ausgedünnten Haltestellendichte an und bieten an zentralen Lagen und den Schienenverknüpfungspunkten Mobilitätsstationen zur Optimierung des Übergangs von Individualverkehr zum ÖPNV, mit P&R-Anlagen, Elektroladestationen, Carsharing, Radstation, WC-Anlagen und Kiosk für Fahrscheinverkauf und Artikel des täglichen Bedarfs. Die schnellen Regionalbusse fahren auch an Wochenenden und Feiertagen, in Randzeiten notfalls als Linientaxi. Der Linienverlauf der schnellen Regionalbusse ist durch Kreistagsbeschluss im Nahverkehrsplan festzulegen. Änderungen bedürfen der Veränderung des Nahverkehrsplans.

Ergänzende Orts- und Nachbarortslinien beauftragt der Kreis und/oder seine Verkehrsgesellschaft im vertraglich abzusichernden Auftrag der jeweiligen Kommunen, sofern diese nicht selbst Stadtbusgesellschaften betreiben.

Die Verkehrsgesellschaft muss vollständig durch den Aufgabenträger gesteuert werden. Die Abstimmung zwischen den Kommunen und dem Kreis hinsichtlich der Fortschreibung der Nahverkehrsplanung ist in einem gesonderten Beirat richtig aufgehoben. Orts- und Nachbarortslinien sind von den betroffenen Kommunen nach Abstimmung im Beirat Nahverkehr festzulegen und über den Kreis zu bestellen. Kommunen können den Orts- und Nachbarortsverkehr im Rahmen von Stadtbusgesellschaften aber auch selbst übernehmen.

Das Leistungscontrolling übernimmt für die schnellen Regionalbusse und die über den Kreis bestellten Orts- und Nachbarorts-Busverkehre das ÖPNV-Amt.

Daneben gibt es natürlich noch weitere Handlungsfelder, wie jüngst im Beschlussentwurf für den Kreisparteirat durch die Kreistagsfraktion auf Vorschlag der Projektgruppe Nahverkehrsplan beantragt:

„Der SPNV – also der schienengebundene öffentliche Personennahverkehr – ist die Grundlage für einen schnellen und effizienten Nahverkehr, der allein in der Lage ist, dem drohenden Verkehrsinfarkt der gesamten Region entgegen zu wirken.

Daher sind alle DB-Nahverkehrsstrecken zu sichern und möglichst in eine S-Bahn- Bedienung einzubringen. Dabei gilt aber, dass auf jeden Fall durchgehende Verbindungen zwischen Bedburg, Bergheim und Köln aufrecht zu erhalten sind.

Der Ausbau der S-Bahn-Stammstrecke wird akzeptiert. Damit einher geht, dass die jetzt in Horrem endende S-Bahn-Linie nach Bergheim, Bedburg und Grevenbroich verlängert wird und dass die RB-Strecke über Pulheim nach Grevenbroich und Mönchengladbach ebenso durch eine S-Bahn ersetzt wird.

Erst sehr langfristig ist mit dem S-Bahn-Ring Köln-West zu rechnen, so dass die Nahverkehrsverbindungen Köln – Erftstadt – Euskirchen – Trier und Köln – Brühl – Bonn – Koblenz anderweitig zu sichern und auszubauen sind.

Bei den Stadtbahnlinien sind Verlängerungen nach Pulheim und nach Hürth-Mitte weiter erforderlich. Ernsthaft zu prüfen ist der Betrieb auf der Querbahn Brühl-Wesseling durch den Verschwenk von Zügen der Linien 16 und 18 auf die jeweils andere Trasse.“

Nicht erneut erwähnt wurden dabei die noch immer gültigen Forderungen nach einem größeren P&R-Haus in Kalscheuren nach Vorbild Weiden-West und der gemeinsame Haltepunkt on Eifelbahn (Köln-Euskirchen-Trier) und Vorgebirgsbahn (Linie 18) in Fischenich.