Als ich 1987 meine Bewerbungsgespräche als Geschäftsführer der grünen Kreistagsfraktion im damaligen Erftkreis geführt habe, bin ich unter anderem gefragt worden, ob es wichtiger sei, aus der Braunkohle oder aus der Atomenergie auszusteigen. Ich wollte mich da nicht entscheiden. Beides ist zwingend erforderlich. Die fossilen Energien zerstören das Klima. Das wussten wir schon mit den Berichten an den Club of Rome. Die Atomenergie setzt unbeherrschbare Risiken. Harrisburg mahnte schon ausreichend lange vor Tschernobyl und Fokushima. Das Endlager für den giftigen Atommüll wurde an der „Zonengrenze“ in Lüchow-Dannenberg geplant, das zum Mittelpunkt des breit getragenen Widerstands wurde. Sowohl Atomenergie als auch die fossilen Energieträger erweisen sich als unverträglich für ein Leben im Einklang mit der Natur, von der das Leben auf der Erde abhängig bleibt. Mit dem Durchsetzen einer regenerativen Energieversorgung haben wir als Grüne zumindest mit dazu beigetragen, diese Fehler der Technologieentwicklung zu überwinden. In wenigen Jahren wird dann auch der Ausstieg aus der Kohleverstromung gelungen sein. Das wird, wegen der fehlenden Kosten der Primärenergie Sonne, auf jeden Fall auch preisgünstiger sein als auf fossile oder atomare Energieträger zu setzen. Dass hier erneut organisierter Unfug in der öffentlichen Diskussion stattfindet, ist dem kleinkarierten Kampf gegen die Einsicht ins Unvermeidbare geschuldet. Es sind Verdrängungen und Übertragungen. Das hält die Diskussion aber aus, schon 40 Jahre.
Auf Platz 4 der Reserveliste gewählt
Dankbar für die Wahl auf die Reserveliste.
Die Kreismitgliederversammlung wählte mich mit 92 von 104 Stimmen. Meine Rede habe ich etwas gekürzt gehalten.
Wozu GRÜN?
Die von den Grünen gestellten Fragen bleiben, aber die grünen Antworten müssen sich weiterentwickeln. Damals wie heute war und ist es richtig, der vom Club of Rome aufgeworfenen Frage nach den Grenzen des Wachstums nachzugehen. Damals wurde von den Grünen völlig zurecht gesagt: So geht es nicht weiter. Die Atomenergie, das Waldsterben, die Entrechtung der Frauen, der Hunger und die Unterdrückung der Menschenrechte weltweit, und vieles andere mehr erforderte vor zwanzig Jahren eine klare Stimme einer außerparlamentarischen und parlamentarischen Opposition.
Die Grünen wollen ein gutes Haus bauen. Eines für die kommenden Generationen. Eines für die Gleichberechtigung der beiden Geschlechter. Eines für alle Völker dieser Welt.
Die Grünen haben Themen geschaffen und besetzt und sich gegen den einseitigen technologischen Fortschrittswahn gestellt.
Der kritiklosen Vorstellung der Machbarkeit der Atomenergie wird das „Atomkraft – Nein danke“ entgegengesetzt. Mit ihren Quotenregelungen und ihrer Politik für die Emanzipation der Frauen in der Gesellschaft erzielten die Grünen tatsächliche und hoffentlich nicht mehr rückholbare Erfolge. Keine Partei, kein Unternehmen, keine Verwaltung kommt heute mehr an dem Thema vorbei. Mit ihrer Protestkultur und der Kultur einer Alternativen Partei wurde ein für die gesamte Gesellschaft wichtiges Experimental-Labor unterhalten.
Dessen Erkenntnisse wurden – frei nach Maybrit Illner – mit großem Spaß in der übrigen Gesellschaft abgekupfert und vermehrt.
Die Grünen errichteten also einen Bauplatz, schmiedeten Pläne und fingen an, den Rohbau für ein Haus zu errichten, indem sich eines Tages alle Menschen tatsächlich wohl fühlen werden. Dabei haben die Grünen Erfahrungen gemacht.
Klar wurde, dass reale Widerstände durch Parolen allein nicht überwindbar sind. Zu wissen, was zu erledigen ist, reicht nicht. Die Grünen waren und sind gefordert zu sagen, wie es geht.
Die Grünen haben in dieser Beziehung bereits zu Oppositionszeiten im Bundestag Bahnbrechendes geleistet. Nur: Konzepte allein schalten kein Atomkraftwerk ab, Konzepte allein führen nicht zu den gewünschten Veränderungen.
Eine Partei muss bereit sein, auch selbst die Veränderungen durchzuführen, mit anzupacken und sich auf das Vorhandene einzulassen, so schlecht es auch ist.
Der Bau dieses neuen Hauses hat sich als notwendiger Umbau des Vorhandenen erwiesen. Der Neubau kann nicht importiert werden, er muss mit dem Baumaterial errichtet werden, das beim Abriss des Alten übrig blieb.
Der Neubau wird ein Recycling-Haus. Photovoltaik braucht Sand, Windmühlen sind aus Metall, Biomasse-Kraftwerke unterscheiden sich anlagentechnisch nicht all zu sehr von Gaskraftwerken. Sonnenkollektoren bestehen aus Metall und Glas.
Die ersten Entwurfsplanungen für den Bau überzeugen uns, einige Prototypen für neue Anlagentechniken werden erfolgreich ausprobiert. Sie funktionieren tatsächlich schon im vorhandenen Altbestand: Kraft-Wärme-Kopplung, Wind- und Sonnenenergienutzung. Alles Märkte, die funktionieren und Arbeitsplätze schaffen.
Im großen und ganzen gilt aber, dass bestenfalls der Keller und die erste Etage des Rohbaus steht. Der Wind pfeift durch Türen und Fenster, das Dach fehlt, noch immer wird sabotiert. Die bisherigen Erfolge werden von interessierter Seite schlecht geredet, der ganze Bau für nicht machbar erklärt.
Die Grünen wollen keinen Krieg. Aber die Welt richtet sich nun einmal nicht nach dem Willen von Ortsverbänden, den Gesprächen in der Szenekneipe oder nach Sprüchen aus den Mitternachtsspitzen im „Alten Wartesaal“.
Natürlich wollen die Grünen schnellstmöglich aus der Atomenergie aussteigen. Aber weder Kabarettisten noch BUND-Vorsitzende können erläutern, wie das denn schneller gehen soll. Und zwar ganz praktisch. Rechner-Szenarien sind nicht die Wirklichkeit und berücksichtigen nicht die ganz realen gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die sich auch durch eine grüne Regierungsbeteiligung nicht einfach in Luft auflösen.
Die Kommissare, Ministerinnen und Minister, in der Europäischen Kommission, in der Bundesregierung und den Landesregierungen, die Mitglieder des Europaparlamentes, des Bundestages, der Länderparlamente, der Bezirke, der Kreistagen und Stadträte, sie alle setzen sich unermüdlich dafür ein, ganz real, ganz praktisch, in ganz kleinen oder mitunter etwas größeren Schritten Fortschritte in Sachen nachhaltige und gerechte Entwicklung zu erzielen.
Die Grünen können stolz auf sich sein und auf das, was sie schon erreicht haben. Es ist doch aber ganz selbstverständlich, dass noch nicht alles erreicht wurde. Dafür war die Zeit zu knapp.
Die Betonung liegt aber auf dem noch nicht. Denn selbstverständlich werden die Grünen ihre Ziele erreichen – und wenn es noch weitere zwanzig Jahre dauern sollte. Denn die Grünen sind zäh und unkaputtbar.
Niemand kann sich in einem Rohbau wohl fühlen, in dem der Wind durch die Fenster pfeift und vom Dach noch nichts zu sehen ist. Noch sind wir nicht raus aus der Atomenergie, noch immer werden Kriege ausgetragen, noch immer sterben Menschen an Hunger und Seuchen, noch immer werden Frauen gesteinigt und unterdrückt, noch immer werden Kinder gequält.
Tragen wir nicht heute und auch in Zukunft die Verantwortung dafür, diese Katastrophen zu beenden?
Die Grünen meinen es ernst mit dem Umbau. Wer die Welt solidarisch, gerecht und nachhaltig einrichten will, braucht aber vor allem eines: Geduld und langen Atem.
Diese Welt gibt’s nicht im Supermarkt. Streng genommen, gibt es sie überhaupt noch nicht. Da helfen nicht die Propheten der Spaßgesellschaft, die meinen, sie hätten, direkt neben dem Ersatzfallschirm noch eine Ersatzwelt im Kofferraum und ihren persönlichen Ersatzteilklon bei Dr. Mabuse um die Ecke.
Liebe Wählerinnen und Wählern, unser Bau steht heute erst im Rohbau. Denkt aber daran, dass Stoiber und Merkel, Westerwelle und Möllemann keine dringenderen Bedürfnisse verspüren, als diesen Rohbau wieder einzureißen.
Was bleibt, wenn Grün geht?